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Veranstaltung am 07. Mai 2012 – Eröffnungsrede Lothar Bisky

Es gibt viele Prophezeiungen. Doch nur wenige, so meine Erfahrung, werden wahr. „Hometaping is killing music“, hieß es in den 70er Jahren. Heute heißt es: „Raubkopierer sind Verbrecher“. Damals sprach man von der Existenzkrise der Musikfirmen, heute sind die „Kreativindustrien existentiell bedroht“. Damals war es die Musikkassette, heute ist es die digitale Kopie, die für die Unternehmen existenzgefährdend sein sollen. Die damaligen Prophezeiungen sind nicht eingetreten, warum sollte es diesmal anders sein?

Nur am Rande sei erwähnt, dass wir zu der Zeit, als ich am Zentralinstitut für Jugendforschung war, also in den 70er und 80er Jahren, Programmkonzepte für das DDR-Jugendradio entwickelten, die den Service zum Mitschneiden heraushoben. Die Musik, vor allem die westliche, sollte ausgespielt werden. Die Moderatoren sollten nicht auf den Anfang und das Ende der Titel reden – eine im Westen verbreitete Praxis im Radio. Mitschneiden, Kopieren sollte möglich sein.

Mitschnittsendungen, wie „Duett – Musik für den Rekorder“, wurden etabliert, um den Mangel an Lizenzplatten auszugleichen. Diese mitgeschnittenen Titel wurden dann auch bei den Diskotheken gespielt. Ein Einspruch westdeutscher Plattenkonzerne ist mir nicht bekannt. Schon dieses Beispiel zeigt, dass es nicht die eine Praxis, die eine Form des Umgangs mit Kopien gibt. Immer sind es auch Interessen, vor allem ökonomischer Art, die Einfluss darauf nehmen wollen, was erlaubt und was verboten ist.

Dabei ist Kopieren Bestandteil der menschlichen Kultur. Kopieren gehört zum menschlichen Wesen. So lernen Kleinkinder das Sprechen und Schüler das Schreiben und Musizieren – durch Kopieren. Eine Kochkunst würde es ohne Kopie nicht geben, so wie in der Mode man „Einzigartigkeit“ durch Nachahmung ausdrücken kann. Es gibt Filme, Bücher, Musik, die durch eine Anspielung, durch eine auszugsweise Kopie Inhalt schöpfen.

Sicher, in der Umsetzung der Kopie hat sich einiges geändert. Daten, Songs und Filme können heute ohne Qualitätsverlust dupliziert und verbreitet werden, wenn sie digital vorliegen. Und man kann alles digitalisieren, was heute noch auf Vinyl, Papier oder Film vorliegt. Dadurch wird die Information von ihrem Datenträger faktisch befreit. Die digitale Kopie verwischt die Grenzen zwischen Original und Kopie, zwischen Vorlage und Nachahmung.

Die digitale Kopie wie auch die Befreiung der Information vom Datenträger sind zwei große Herausforderungen für das Urheberrecht. Diesen Herausforderungen müssen wir uns als Politiker stellen. Dabei stehen wir offensichtlich vor einem Widerspruch. Denn offensichtlich leben wir „in einer Zeit, die von Kopiergeräten begeistert, von vagabundierenden Kopien jedoch entsetzt ist“, so der amerikanische Autor Hillel Schwartz – in seinem Buch: „Dèjá vue. Die Welt im Zeitalter ihrer tatsächlichen Reproduzierbarkeit.“

Sicher kann man versuchen, die neuen technischen Möglichkeiten entsprechend dem geltenden Urheberrecht einzugrenzen. Doch kann dies überhaupt funktionieren? Schränkt dies nicht Freiheit ein? Führt dies nicht zum Aufbau ein Kontrollinfrastruktur, die auch demokratiegefährdend wirken kann?

Ja, Urheber müssen auch Rechte in der digitalen Gesellschaft haben. Das ist weitestgehend gesellschaftlicher Konsens. Doch dazu reicht es aus meiner Sicht nicht, einfach die analogen Regelungen unverändert auf die digitale Welt auszudehnen. Um dies deutlich zu machen: Als das Auto die Pferdedroschke ablöste, wurden neue Straßenverkehrsregeln geschaffen und nicht einfach der Autoverkehr den alten Regeln unterworfen. Allerdings wurde dies zeitweise versucht. Autos durften nicht schneller als Schritttempo fahren, um niemanden zu gefährden. Das Ende ist bekannt.

Die Digitalisierung, das Internet ermöglichen es, dass Schriftsteller und Musiker schneller und leichter die erreichen können, die an ihrer Kunst interessiert sind. Allerdings werden so auch bestehende Geschäftsmodelle in Frage gestellt. Im Deutschlandfunk beschrieb dies die Schriftstellerin Juli Zeh wie folgt: „Der Begriff Urheberrecht suggeriert ja immer so ein bisschen, als ginge es da vor allem auch um den Schutz des einzelnen kleinen Autors, der um seine künstlerische Existenzgrundlage gebracht wird. Das ist nicht der Fall, sondern wir reden hier tatsächlich um Kämpfe zwischen Industrien. Also, es kann ein Wirtschaftszweig nicht erwarten, dass nach einer großen technologischen Revolution seine Finanzinteressen jetzt einseitig von der Politik geschützt werden.“ (Deutschlandfunk, 23.04.2012)Es ist also die Aufgabe der Unternehmen, sich den veränderten Marktbedingungen zu stellen. Sie müssen sich neue, funktionierende Geschäftsmodelle ausdenken.

Statt darin ihre Kraft zu investieren, behindern sie die Nutzung. So ist es nicht nur einmal vorgekommen, dass Sportgruppen Musik für die Selbstdarstellung auf ihrer Onlinepräsentation nutzen wollten. Wenn diese sich nun ordnungsgemäß an das Label wenden, verweist dieses zumeist darauf, dass der Künstler daran kein Interesse hat. Fragt man nun beim Künstler nach, so sieht dieser oftmals kein Problem, wenn die mit seiner Musik unterlegte Präsentation nur auf der Vereins-Homepage genutzt und nicht bei Youtube eingestellt wird. Wendet man sich nun wieder an das Label, kann man mit Rechnungen im vierstelleigen Bereich rechnen. Der Grund: selbst, wenn es sich nur um die Homepage eines kleinen Vereins handelt, muss man die weltweiten Rechte erwerben.

Das Einkommen von Kreativen hängt kaum noch vom Schutz ab, den das Urheberrecht gewährt. Es ergibt sich vor allem aus den Verträgen mit den Verwertern. Allerdings haben nur wenige Urheber reale Verhandlungsmacht. Und so kann man feststellen, dass die ökonomische Realität der UN-Menschenrechtserklärung von 1948, die zu den allgemeinen Menschenrechten das Recht auf schützenswerte, freie, künstlerische Hervorbringung zählt, kaum entspricht.

Ein normaler Schriftsteller von heute, so der Deutschlandfunk, verdient an einem Roman, der bei einem renommierten deutschen Verlag erscheint, pro Exemplar vom Nettoladenpreis etwa zehn Prozent. Das sind bei einem Roman für 22,90 Euro circa zwei Euro pro Exemplar. Verkauft er also günstigstenfalls 5.000 Exemplare mit Buchpreisbindung hat er 10.000 steuerpflichtige Euro an einem Roman verdient. Dies soll nicht heißen, dass sich jeder Verlag auf Kosten des Schriftstellers maßlos bereichert. Es soll nur verdeutlichen, dass es logisch ist, dass auch aus dieser Situation heraus nach neuen Geschäftsmodellen gesucht wird.

Ist es nun Aufgabe der Politik, alte Geschäftsmodelle zu schützen und dabei auch gesellschaftliche Kollateralschäden in Kauf zu nehmen? Ist es gar Aufgabe der Politik, den bestehenden Verwertern ihre Gewinne zu garantieren? Ist es nicht vor allem Aufgabe der Politik, sich für Vergütungsmodelle zu entscheiden und dementsprechend dann die gesetzlichen Rahmenbedingungen für neue Geschäftsmodelle zu schaffen? Muss die Politik dabei nicht vor allem die Interessen der Urheber und Nutzer in einen neuen Ausgleich bringen?

Die Begriffe in der aktuellen Debatte ums Urheberrecht, machen klar, dass hier ein „politischer Kampf“  um ökonomische Interessen stattfindet. „Gratismentalität“, „Kostenloskultur“, „geistiges Eigentum“ und „Raubkopie“ – das sind das Wesen der Entwicklung verschleiernde Kampfbegriffe. Denn wer die Begriffe hinterfragt, kann feststellen, dass diese die Realität nicht beschreiben.

So verweist der frühere Universal-Manager Tim Renner darauf, dass „im Netz “Umsonst” eine Schimäre ist. Die Villa, die Autos, die Hausmädchen von Megaupload Mitbegründer Kim Schmitz kommen nicht von ungefähr, sondern sind Ergebnis der Gebühren des Dienstes, den man bei intensiver Nutzung zu zahlen hatte.“ (Motorblog, 16.04.2012)

Ich stelle fest: Im Internet wird Geld verdient. In Ländern wie USA, Südkorea oder Schweden liegt der Anteil des digitalen Musikmarktes schon bei über 50 Prozent. In Deutschland sinkt der CD-Verkauf nicht, wie immer wieder behauptet wird. Er stagniert in den letzten Jahren. Die Download-Verkäufe steigen. Bei der Axel Springer AG machen die Erlöse im Bereich der Digitalen Medien mittlerweile fast ein Drittel der Gesamterlöse aus. Sie stiegen um 35% gegenüber dem Vorjahr, von 711 Mio. Euro auf 962 Mio. Euro im Jahre 2011. Der Konzernüberschuss der Axel Springer AG für das Geschäftsjahr 2011 betrug 289,4 Mio. Euro – bei über 3 Mrd. Euro Umsatz.

Es wird also im Netz bezahlt. Doch wofür? Dazu noch einmal Tim Renner: „Bezahlt wird für Service und Inhalte im Netz immer. Entweder im Rahmen von Flatrates für aktuelle Musik oder Filme oder eben mit Zeit oder persönlichen Daten.“

Wenn Politiker, Verwerter und Urheber immer wieder von „geistigem Eigentum“ sprechen, dann sei ein Verweis auf das Grundgesetz gestattet. Verfassungsrechtlich gesprochen ist für das körperliche Eigentum die Sozialbindung desselben nach Artikel 14 Grundgesetz festgelegt. Da heißt es in Absatz 2: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Das müsste doch dann auch für das „geistige Eigentum“ gelten, oder? Doch dann wäre laut Grundgesetz auch eine Enteignung zulässig, allerdings „nur zum Wohle der Allgemeinheit“. Die Enteignung, so steht es in Absatz 3, „darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.“

Für wen es „geistiges Eigentum“ gibt, der kennt auch „geistigen Diebstahl“. Doch kann es überhaupt „geistigen Diebstahl“ geben? Nein, Geist kann nicht gestohlen werden. Geist kann „erschlichen“ werden. Doch sollte es exklusives Eigentum an Wissen geben? Oder sollte Wissen der Allgemeinheit dienen? Wie kann, und das ist für mich die politische Frage, der Geist der Freiheit und der Kreativität befördert, statt eingeengt werden? Diese Frage ergibt sich aus meinem Ziel: Mein politisches Ziel ist eine Gesellschaft, die ein hohes intellektuelles und kulturelles Niveau hat. In meiner Vision wären Wissen und Kultur frei zugänglich. Dies heißt nicht, dass sie auch per se kostenlos nutzbar wären.

Lassen Sie mich auf einen weiteren der falschen Begriffe eingehen, die „Raubkopie“. Dieser Begriff befindet sich in keinem deutschen Gesetz. Im Strafgesetzbuch ist unter §249 festgehalten, was man unter Raub zu verstehen hat. Bei einer Kopie nimmt man niemanden mit „Gewalt“ bzw. unter Androhung von „Gefahr für Leib oder Leben“ etwas weg. Doch kann ein Vervielfältigungsvorgang überhaupt als Diebstahl angesehen werden? Es ist doch klar, dass es nicht dasselbe ist, ein Brot oder digitale Informationen zu teilen. Schließlich wird beim Letzteren nichts weggenommen. Allerdings, dass ist klar, kann so eine Verwertung behindert bzw. verhindert werden.

Doch wer steht nun hinter diesen „politischen Kampfbegriffen“? Wer hat sie etabliert? Welche Interessen werden damit verfolgt? Gerfried Stocker, der künstlerische Leiter des Festivals Ars Electronica, stellt fest: „Bisher ist unser Urheberrecht darauf orientiert, den Markt des Vertriebs zu bedienen, zu unterstützen und zu ermöglichen. Aber dieser Markt hat sich aufgelöst. Die Chancen der Wissensgesellschaft könnten nur genutzt werden, wenn die Rechtssysteme der neuen Realität angepasst würden. Dagegen tritt jedoch eine starke Lobby auf. Dazu gehören nicht nur die Verwertungsgesellschaften, die Verlage und die Musikindustrie. Diese werden auch durch die Unternehmen des Rundfunkbereichs unterstützt.“

In Deutschland zeigt sich dies deutlich in der Deutschen Content Allianz. Diese wurde im April letzten Jahres gegründet. Die Deutsche Content Allianz ist ein Zusammenschluss aus ARD und ZDF, des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, des Bundesverbandes Musikindustrie, der GEMA, der Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen (Produzentenallianz), der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) sowie des Verbands Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT). Erst vorletzte Woche sind anlässlich des „Tages des geistigen Eigentums“ noch die Zeitungsverlegerverbände BDZV sowie VDZ beigetreten.

Zentrales Anliegen der Content Allianz ist es laut Selbstdarstellung unter anderem, Urheber- und Leistungsschutzrechte zum Schutz der kulturellen Vielfalt zu stärken. Zuletzt hat diese Allianz im Februar die Bundesregierung aufgefordert, ACTA schnellstmöglich zu unterzeichnen. Wozu brauchen die gebührenfinanzierten Sender ARD und ZDF ACTA? Wodurch sind sie gefährdet? Ist ihre Existenz nicht durch die Rundfunkgebühr abgesichert? Gibt es überhaupt noch angesichts dieser Allianz eine ernsthafte Konkurrenz zwischen Verlagen, privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern? Bildet sich hier langsam aber sicher ein Oligopol journalistischer Anbieter für Print, Radio, Fernsehen und Film (Kino) aus?

Vor zwei Wochen gründeten einige der Tochterunternehmen von ARD und ZDF mit anderen Unternehmen die Germany’s Gold GmbH. Diese Gesellschaft soll eine Video-on-Demand-Plattform betreiben, die audiovisuelle Werke und weitere Angebote im Bereich der elektronischen Medien bereitstellt. Das Portal soll sich sowohl durch Abrufentgelte, als auch durch Abonnements und Werbung finanzieren. Sicherlich wird man hier auch gebührenfinanzierte Produktionen einspeisen. Doch welche Chancen haben dann noch andere Mediathekenbetreiber? Welche Verhandlungsmacht haben dann noch andere Inhalteanbieter, seien es Journalisten oder Produzenten, gegenüber den Verwertern? Wird diese Mediathek zu dem deutschen Inhalteverwerter von Print-, Audio-, Video- und Netzinhalten?

Ein Blick auf den europäischen audiovisuellen Markt zeigt: Die Kreativen sowie viele kleine und mittelständische Produktionsfirmen, also die Inhalteproduzenten, sind von den bestehenden Medienanbietern abhängig. Sie müssen sich in den Verhandlungen um abzutretende Rechte und Vergütung zumeist dem Diktat der Unternehmen beugen. Total-Buy-Out-Verträge sind keine Seltenheit. Die Rechte zur Online-Verbreitung werden zumeist ohne zusätzliche Vergütung mit einkassiert. Große Medienunternehmen sowie Verbände aus Print, Rundfunk, Musik und Film schließen sich zusammen, um eigene Online-Vertriebs-Plattformen zu etablieren. So wird es für neue Anbieter in Zukunft schwer, sich auf dem Online-Markt für audiovisuelle Werke zu etablieren.

Die Situation der Kreativen, sowie der kleinen und mittleren Produktionsunternehmen muss, deshalb in ihren Abhängigkeitsverhältnissen mit erfasst werden, um davon ausgehend Vorschläge zu entwickeln. Ebenso sind die Interessen der Nutzer zu berücksichtigen. Der Nutzer ist als Konsument wie auch als Produzent zu sehen. Gerade die digitale Entwicklung ermöglicht ihm beides zu sein.

Wir stehen vor der Frage, welche gesellschaftliche Zukunft uns vorschwebt. Wir müssen bedenken, welche Schäden die freie Kultur nimmt, wenn die Kopie mit unverhältnismäßigen Mitteln bekämpft wird. Wir müssen überlegen, ob wir, um Lösungen für Teilbereiche, wie die Tauschbörsennutzung, zu schaffen, nicht anderes zwangsläufig behindern.

Ja, wie steht es zudem und grundsätzlich gefragt, um das im Grundgesetz in Artikel 5 garantierte „Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“?Muss man sich nicht im digitalen Raum mit Bezugnahmen, Verweisen und Links äußern? Gehört nicht das Zitieren von Bild- und Tonquellen dazu? Ist diese „vertiefende Vernetzung“ nicht gerade die neue Qualität des Mediums? Es ist also darüber zu streiten, wie eine solche Praxis der „vertiefenden Vernetzung“ gesellschaftlich legitimiert werden kann.

Für mich zählt nicht nur die Frage nach der Novelle des Urheberrechts. Diese kann man nicht allein, für sich beantworten. Wir müssen klären, wie der Zugang zu den urheberrechtlich geschützten Inhalten aussehen soll. Dabei müssen wir auch den Datenschutz berücksichtigen. Und wir sollten darauf achten, dass eine „Überwachung“ nicht stattfindet.

Wird die digitale Gesellschaft in 30 Jahren also frei sein oder eher aussehen wie ein iPhone? Damit meine ich nicht das Gerät an sich. Damit meine ich die Umgebung. Werde ich also weniger Möglichkeiten haben, weil die Anwendungen, die Apps, die ich mir herunterladen möchte, kontrolliert werden und wo jeder meiner Schritte mittels eines Zugangskontos verifiziert wird?

Die Grundlagen, wie diese digitale Gesellschaft aussehen wird, werden heute gelegt. Derzeit stecken wir in einem Dilemma. Die Nutzer stoßen immer wieder an die Grenzen des Urheberrechts. Sie überschreiten sie, oftmals unbewusst. Die Kommunikation im Netz kollidiert immer häufiger mit dem Urheberrecht. Es sind neue Handlungsräume entstanden, die nicht mehr einfach so mit dem „alten“ Recht in Übereinstimmung gebracht werden können.

Zugespitzt können wir es so beschreiben: Nutzer sitzen ratlos vor den Endgeräten. Die Künstler sind wütend und können nur das alte Recht einklagen, das ihnen nicht weiter hilft. Rechteverwerter wollen die alten Verwertungsmodelle in die neue Zeit retten. Davon profitieren die Abmahner, die ein Geschäftsmodell für sich entwickelt haben, das nur Nutzer gegen die Rechteverwerter aufbringt. Es wird Zeit, dass ein Urheberrecht geschaffen wird, das von allen verstanden wird und die Künstler gerecht bezahlt.

Für mich ist dabei klar:

  1. Urheberinnen und Urheber müssen fair entlohnt werden.
  2. Eine freie Wissenschaft braucht Open Access.
  3. Freie Lizenzen sollen gefördert werden. „Creative Commons“ tragen dazu bei, dass vor allem im Internet kulturelle Werke legal eine große Verbreitung finden können.
  4. Der digitale Verbraucherschutz muss die privaten Nutzungsrechte sichern.
  5. Massen-Abmahnungen mit horrenden Abmahnkosten sind zu stoppen.
  6. Der Weiterverkauf von MP3s und E-Books muss möglich sein.

Es muss eine Ende haben, dass Nutzerinnen und Nutzer beklagen, dass Werke nicht oder nur zu inakzeptablen Bedingungen zugänglich sind. Es muss darauf reagiert werden, dass Urheber beklagen, dass das Recht ausgehöhlt wird und nichts mehr bei ihnen ankommt. Es muss eine Ende haben, dass über die Köpfe der Nutzer und Urheber hinweg diskutiert sowie die Verwerter im Namen der Urheber, die Netzwirtschaft im Namen der Nutzer auftreten.

Dem entsprechend muss das Urheberrecht geändert werden. Dazu passend sind entsprechende Geschäftsmodelle zu befördern: durch die Urheber und Verwerter. Die Politik muss dann, so dies nötig ist, diesem einen gesetzlichen Rahmen geben. Für mich ist klar: Wir brauchen ein durchsetzungsfähiges Urhebervertragsrecht, das Urhebern bei ihren Verhandlungen mit ihren Vertragspartnern den Rücken stärkt. Der freie Markt ist nicht der optimale Garant für die Unabhängigkeit und Freiheit der Künstler. Ich möchte, dass Urheber und Nutzer in ein solidarisches, marktfernes Verhältnis zueinander treten können, das auf einem fairen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen basiert.

Um darüber zu diskutieren, was möglich ist, haben wir, die Bundestagsfraktion DIE LINKE, die AG Dokumentarfilm, der Chaos Computerclub, der Verein Digitale Gesellschaft sowie die Fraktion GUE/NGL des Europaparlaments zu diesem Dialog eingeladen. Es soll ein Dialog von Urhebern und Nutzern sein. Uns geht es um die Frage, wie man zu einem neuen Sozialvertrag („Contract Social“) kommen kann, der einerseits für freie Zugänglichkeit von Kunst und Kultur, andererseits für angemessene Vergütung der Urheber sorgt.

Als Einstieg werden dazu vier Modelle vorgestellt:

  1. Volker Grassmuck, Mediensoziologe aus Lüneburg und Gründer des Portals iRights.info, beschäftigt sich schon lange mit der sogenannten „Tauschlizenz“, auch bekannt als „Kulturflatrate“. Dabei soll das Prinzip der Privatkopie-Abgabe auf sämtlichen digitalen Content ausgeweitet werden.
  2. Frank Rieger, seines Zeichens Vorstandsmitglied im Chaos Computer Club, stellt die Kulturwertmark vor, die die Tauschlizenz-Idee mit Überlegungen zur Verteilung des Geldes kombiniert
  3. Cay Wesnigk ist Filmemacher und Gründer des Portals onlinefilm.org. Er hat sich mit dem als Haushaltsabgabe bekannten Rundfunkbeitrag beschäftigt, der ab Januar 2013 die bisherige Rundfunkgebühr ersetzen soll. Damit werden die Einnahmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks steigen, und Wesnigk schlägt vor, einen Teil dieser Mehreinnahmen umzuverteilen und direkt in die Produktion audiovisueller Inhalte zu investierten.
  4. Der Kulturausschuss des Europaparlaments hatte im Jahre 2011 ein Gutachten in Auftrag gegeben, das eine kommerzielle Flatrate vorschlägt, die von den Internetprovidern angeboten werden soll. Der Inhalt des Gutachtens wird von Heiko Hilker vorgestellt.

Ich danke den Mitveranstalter von Bundestagsfraktion DIE LINKE, AG Dokumentarfilm, Chaos Computer Club und Digitaler Gesellschaft. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir die Veranstaltung per Livestream übertragen und auch später zu Verfügung stellen. Wer also nicht gefilmt werden möchte, soll das bitte zu Beginn seiner Wortmeldung kundtun, damit die Kamera ausgeschaltet werden kann.

Und nun wünsche ich allen interessante Vorträge und eine anregende Diskussion.