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Beitrag zur Datenschutzkonferenz der Linksfraktion im Europaparlament und im Landtag Sachsen (18.07.2012) 

Liebe Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin gebeten worden, hier ein Schlusswort zu halten. Das ist aber natürlich schwierig – nicht nur angesichts der Fülle der Debattenpunkte und Fragen.

Vorab muss ich noch dazu anmerken: Als Medienwissenschaftler und Kulturpolitiker bin ich natürlich vor allem auch Vertreter derjenigen, die offenbaren wollen, was hinter Daten und Informationen steht.

Einmal mehr ist nach diesem Tag voller Informationen über aktuelle Gesetzgebungsvorhaben und Diskussionen über linke Standpunkte und Ideen für eine solidarische und demokratische Informationsgesellschaft festzustellen: Die Gesellschaft insgesamt ist im Zuge dieser technologischen Entwicklungen um Umbruch.

Die Digitalisierung von Teilen der Kommunikation, der Wirtschafts-, Arbeits- und privaten Welt bringt Chancen und Risiken mit sich.

Sammlung, Speicherung, Auswertung, Erreichbarkeit und Weiter-Verwendung von Daten, auch personenbezogener Daten, wird einfacher, bequemer und teilweise billiger.

Online-Banking, Online-Steuererklärung und –Einkauf, Routenplaner im Auto, Kommunikation per E-Mail oder in sozialen Netzwerken, Jobbörsen im Netz, jederzeit verfügbare Informationen, stets erreichbar zu sein und andere zu erreichen …

Das hat durchaus Vorteile, weckt aber gleichzeitig Begehrlichkeiten bei privaten Unternehmen.

Ich denke dabei u. a. an Adresshändler, Inkassounternehmen, Werbung, Marktforscher, Banken u. v. m. – Betreiber einiger sozialer Netzwerke sind vielleicht das bekannteste Beispiel dafür.

Staatliche Behörden sowie Arbeitgeber können die neuen technologischen Möglichkeiten sinnvoll, aber auch zur Überwachung und Kontrolle der Bürgerinnen und Bürger ge- oder eben missbrauchen. Beides ist häufig nicht so weit von einander entfernt.

Politik und Gesetzgebung bewegen sich in diesem Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen.

Das deutsche Grundgesetz erhebt den Schutz persönlicher Daten nicht explizit in Verfassungsrang.

Sehr wohl wird aber aus den Grundrechten (Art. 1 und 2 GG) ein „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ abgeleitet. Darüber ist ja heute gesprochen worden.

Mit dem Vertrag von Lissabon (Art. 16 AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der EU) fand das „Recht [jeder Person] auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten“ Eingang in die verfassungsgebenden Grundlagen der EU.

Damit müssen wir arbeiten und sollten damit auch intelligent arbeiten.

in der EU-Grundrechtecharta findet sich dieses Grundrecht wieder (Art. 8).

Zugleich ist das Recht auf Sicherheit durch den Staat zu gewährleisten und in der EU-Grundrechtecharta verweist Art. 6 auf die Gleichrangigkeit von „Freiheit und Sicherheit“.

In den Debatten über den Schutz geistigen Eigentums oder Soziale Netzwerke begegnen wir datenschutzrelevanten Fragen ebenso wie im Bereich der Strafverfolgung. 

Gerade die digitalen Technologien erfordern nicht nur Gesetzesreformen, sondern auch wiederum neue technische Ideen und ihre praktische Handhabung.

Das zeigt sich zum Beispiel beim Ziel der Einrichtung eines „Rechts auf Vergessenwerden“ (also auf dauerhafte Löschung von Daten im Netz) oder beim Recht auf „Rückgabe“ bzw. Übertragbarkeit von Daten.

Auch über diese Fragen ist heute ausführlich gesprochen worden.

Eine weitere Frage, die sich stellt, ist folgende: Wo, in welchem Detail, auf welcher Ebene, kann Datenschutz am besten geregelt und durchgesetzt werden?

Die deutschen Bundesländer haben im März dieses Jahres im Bundesrat begründet, dass sie sowohl den Entwurf für die Datenschutz-Grundverordnung als auch die Richtlinie über den Datenschutz im Rahmen von Strafverfolgung und Justizkooperation für eine Überschreitung der Kompetenzen der EU halten.

Kann man aber in Zeiten des globalen und digitalen Datenaustauschs Datenschutz noch auf nationaler oder sogar noch den untergeordneten Ebenen regeln? Ich meine nicht, aber das ist meine persönliche Ansicht.

Nach der jüngsten „Panne“, die dem Bundestag bei der Neufassung des deutschen Meldegesetzes unterlief, könnte man geneigt sein, dieser Ebene kein allzu großes Vertrauen vorzuschießen. Umso aufmerksamer muss natürlich verfolgt werden, dass die EU-weite Regelung nicht in ähnlicher Weise umgekehrt wird, wie es im Bundestag der Fall gewesen ist. Bürger müssen etwaiger Datenweitergabe ausdrücklich und informiert zustimmen und ihre Erlaubnis auch zu späterem Zeitpunkt zurücknehmen  können oder eine Datenweitergabe und -verarbeitung darf eben nicht erfolgen.

Die Nichtweitergabe müsste also der Regelfall sein. Die Durchsetzung solcher Forderungen wird aber ein langer Kampf bleiben. Mit der Digitalisierung beginnen jetzt einige Probleme sichtbar zu werden und es werden weitere auftauchen, auf die unsere bisherigen Kulturtechniken nicht vorbereitet sind.

Eine weitere Schwachstelle in der deutschen Gesetzgebung zeigte die massenweise Funkzellenabfrage in Dresden im Februar 2011 bei der hunderttausende Verbindungsdaten von Teilnehmern einer Demonstration und Unbeteiligten gespeichert und ausgewertet wurden und dieses Vorgehen letztlich als rechtmäßig beurteilt wurde.

Ungenügender Schutz von Arbeitnehmerdaten oder zumindest weit über das nötige Maß hinausgehende Erhebung solcher Daten ist beispielsweise auch im Europaparlament Thema von Auseinandersetzungen. Die Drohgebärde gegenüber abhängig Beschäftigten kann gewaltig sein: Wer fürchtet, keinen Arbeitsvertrag zu erhalten, unterschreibt eventuell mehr als sinnvoll oder sogar eigentlich zulässig ist.

Umso mehr ist hier Politik in der Verantwortung, Regeln zu setzen und Betroffene zu unterstützen. Aber hier wie in vielen anderen politischen Auseinandersetzungen ist es eben so, dass wir Mehrheiten brauchen, um erfolgreich zu sein.  Wir brauchen also auch mehr Linke. Anders ist nichts zu machen! 

Eine EU-weite Regelung zum Datenschutz könnte in den genannten und weiten Fällen möglicherweise Abhilfe schaffen. Wie schafft man aber, dass sich am Ende der bestmögliche Datenschutz durchsetzt und nicht etwa nur ein „kleinster gemeinsamer Nenner“? Dieses und andere Details werden im jetzt folgenden parlamentarischen Verfahren genau geprüft werden müssen.

Wir müssen uns ansehen, ob mit diesen Gesetzgebungsakten beziehungsweise Änderungen daran das Abkommen zur Übermittlung europäischer Fluggastdaten an die USA vielleicht doch noch in seinen Auswirkungen beschränkt werden könnte. Gegen das so genannte PNR-Abkommen hat das Europäische Parlament lange Zeit Widerstand geleistet; und ist dann doch am Ende mehrheitlich eingeknickt – übrigens gegen linke, grüne und liberale Stimmen. Hier zeigt sich auf der einen Seite, dass wir durchaus Schnittmengen mit andern Fraktionen im Europaparlament haben.Aber die erforderliche Stimmenanzahl für eine Mehrheit zu erhalten ist eben harte Arbeit und nicht immer möglich.

 Vor zwei Wochen, in der letzten Plenartagung des Europaparlaments vor der Sommerpause, ist das Anti-Piraterie-Abgkommen ACTA von einer Mehrheit der Europaabgeordneten zu Fall gebracht worden. Conny Ernst, die uns heute zu dieser Konferenz eingeladen hat, trägt zusammen mit unserem Abgeordneten Helmut Scholz einen wichtigen Anteil an diesem Erfolg. Dies ist ein Beispiel, dass auch die wenigen LINKEN Europaabgeordneten wirksam sind.

Zentrale Sorge für die Bürgerinnen und Bürger waren Datenschutz und Freiheit im Internet. Mit der Ablehnung im Europaparlament konnte der Versuch abgewehrt werden, grundlegende Freiheiten und Grundrechte im Internet zu beschneiden. Fraglich ist natürlich auch hier: Für wie lange? ACTA hätte EU und Mitgliedsstaaten darauf verpflichtet, für die Verfolgung von Verstößen gegen Copyright im Internet die Internetprovider in die Pflicht zu nehmen. Eine Folge wäre hätte die Kontrolle des gesamten Datenverkehrs im Netz sein können.

Weil mir die Anliegen von Künstlern und Autoren besonders am Herzen liegen sei mir der Hinweis gestattet:  ACTA sollte den Besitzstand der größten Musik- und Filmkonzerne quasi per Staatsvertrag schützen. Es ging um Profitinteressen der Verwertergesellschaften, nicht um die Einkommenssicherheit der Künstler. Die Argumentation, das hier Urheberrechte geschützt werden sollen, war ein ziemlich kleines Feigenblättchen.

Gefahren durch Terrorismus und Kriminalität sowie Probleme, die durch Korruption oder Urheberrechtsverletzungen entstehen, gibt natürlich sowohl online als auch offline. Die Notwendigkeit, hierfür Lösungen zu schaffen, darf aber nicht für die Legitimierung einer Überwachungsgesellschaft herhalten und auch nicht zur Beschränkung von Informationszugängen und Meinungsfreiheit – nicht in Deutschland und nicht in der EU.

Fragestellungen des Datenschutzes reichen in unzählige Bereiche hinein. Zu den bereits genannten, lässt sich zum Beispiel auch die Frage hinzufügen, ob und wie „offene Daten“ breiter und innovativ weiterverwendet werden können, ohne den Schutz personenbezogene Angaben zu verletzen. Dabei geht es um Informationen, die öffentliche Stellen produzieren, sammeln oder erwerben. Beispiele dafür sind Geoinformationen, Statistiken, Wetterdaten, Daten von öffentlich finanzierten Forschungsprojekten und digitalisierte Bücher aus Bibliotheken und auch Werke der Film- und Filmkunstgeschichte.

Gerade auch, wenn man – wie die LINKE – fordert, öffentliche Daten als für alle zugängliches Allgemeingut zu betrachten, stellt sich die Frage nach dem Datenschutz sehr deutlich.

Die „netzpolitischen Eckpunkte“ der Linksfraktion im Bundestag, das bereits bestehende Engagement der LINKEN im Europaparlament und anderen Parlamenten sowie die heutigen Diskussionen sind eine gute Basis für unsere Zielstellung, die digitale Gesellschaft in allen diesen Aspekten zu analysieren, kritisch zu begleiten und mitzugestalten. Eine moderne Linke im 21. Jahrhundert muss sich in diesem Bereich engagieren, nicht zuletzt im Interesse des Informationsproletariats, dass sich in unseren Gesellschaften herausbildet.

Mit unserer heutigen Datenschutzkonferenz haben wir einige wichtige konkrete Verhandlungsziele formuliert, die uns helfen werden, für Mehrheiten zu werben. Es ist der Versuch, die Themenfelder Datenschutz, Bürgerrechte, digitale Gesellschaft, Netzpolitik, Urheberrechte – auch digitale Rechte – besser zu vernetzen. Wir formulieren damit den Anspruch, als ernstzunehmender politischer Partner in diesen Debatten auf allen Ebenen – Europa, Bund und Länder – noch deutlicher und kohärenter in Erscheinung zu treten.

Für den Beitrag zu diesen Vorhaben möchte ich allen Gästen und Experten sehr herzlich danken. Besonderer Dank gilt natürlich allen, die diese Konferenz auf die Beine gestellt haben und damit die Möglichkeit eröffnet haben, über dieses wichtige Thema – Datenschutz betrifft nun wirklich jeden – mit einander ins Gespräch zu kommen. Ich wünsche uns allen Erfolg bei den nun folgenden Verhandlungen und zunächst eine erholsame Sommerpause.

Anhang

Artikel 16 AEUV

(1) Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten.

(2) Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Vorschriften über den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie durch die Mitgliedstaaten im Rahmen der Ausübung von Tätigkeiten, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, und über den freien Datenverkehr. Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von unabhängigen Behörden überwacht.

Die auf der Grundlage dieses Artikels erlassenen Vorschriften lassen die spezifischen Bestimmungen des Artikels 39 des Vertrags über die Europäische Union unberührt.

Artikel 6 EU-Grundrechtecharta - Recht auf Freiheit und Sicherheit

Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.

Artikel 8 EU-Grundrechtecharta - Schutz personenbezogener Daten

(1) Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten.

(2) Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden.Jede Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken.

(3) Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer unabhängigen Stelle überwacht.

Aus: Netzpolitische Eckpunkte der Linksfraktion im Deutschen Bundestag http://www.linksfraktion.de/positionspapiere/netzpolitik-gesellschaftspolitik/

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Datenschutz gewährleisten

Aus unserer Sicht ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht verhandelbar. Jeder Mensch hat einen Anspruch, selbst zu bestimmen, wer über welche persönlichen Daten verfügt und was damit angestellt werden darf. Wenngleich das geltende Datenschutzrecht grundsätzliche Informationsrechte für Betroffene vorsieht, ist es dem Einzelnen in der Realität kaum möglich, diese Rechte tatsächlich wahrzunehmen. Seit geraumer Zeit ist es kaum noch möglich, zu jeder Zeit nachvollziehen zu können, welche persönlichen Daten bei Unternehmen und Staat gespeichert sind und wohin diese übermittelt wurden. Deshalb debattieren wir über neue Regelungen, die die ausufernde Datenerhebung und den zunehmendem Datenhandel transparent machen können. Dazu gehört für DIE LINKE beispielsweise das Konzept des Datenbriefs, welcher Unternehmen und Staat verpflichten soll, in regelmäßigen Abständen Bürgerinnen und Bürger darüber zu informieren, welche Daten über sie gespeichert sind. Darüber hinaus fordern wir die Stärkung der informationellen Selbstbestimmung durch eine zeitliche Begrenzung von Einwilligungen in die Speicherung und Verarbeitung persönlicher Daten sowie ein Verbot der Profilbildung. Gerade die Betreiber sozialer Netzwerke im Internet fallen immer wieder durch mangelnden Datenschutz auf. Hier muss ebenfalls nachgebessert werden und DIE LINKE fordert eine Verpflichtung zu den höchstmöglichen Datenschutzeinstellungen (privacy by default) bei neu angelegten Benutzerkonten. Eine zentrale Forderung ist auch ein pauschalisierter Schadensersatz für die Opfer von Datenschutzverletzungen.

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